In seinen Erinnerungen "Aus meiner Kindheit und Jugendzeit" schildert Albert Schweitzer ein Erlebnis, das ganz banal beginnt: Ein Freund hatte Zwillen gebastelt und den Sieben- oder Achtjährigen aufgefordert, gemeinsam damit auf Vögel zu schießen. "Dieser Vorschlag war mir schrecklich, aber ich wagte nicht zu widersprechen, aus Angst, er könne mich auslachen." Schweitzer spannt, wie sein Freund, das Gummi der Schleuder – nimmt sich aber vor, danebenzuschießen. Plötzlich beginnen die Kirchenglocken zu läuten. "Es war für mich eine Stimme aus dem Himmel", berichtet Schweitzer. "Ich tat die Schleuder weg, scheuchte die Vögel auf, dass sie wegflogen und vor der Schleuder meines Begleiters sicher waren, und floh nach Hause."
In diesem Moment hatte der spätere Philosoph, Theologe, Mediziner und "Urwalddoktor", der Musikwissenschaftler, Bach-Forscher und Organist, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und des Friedensnobelpreises den Dreh- und Angelpunkt seines Denkens gefunden: "Die Art, wie das Gebot, dass wir nicht töten und quälen sollen, an mir arbeitete, ist das große Erlebnis meiner Kindheit und Jugend. Neben ihm verblassen alle anderen."
Heute ist es um Schweitzer, der in den 1950er-Jahren wie ein Star gefeiert wurde, still geworden. Doch es lohnt, ihn wiederzuentdecken. Denn seine "Ehrfurcht vor dem Leben" ist angesichts der Tierschutz- und Biodiversitätskrise verblüffend zeitgemäß.